Thomas Baumann
Was war eigentlich das industrielle Zeitalter? Ist die sogenannte Industriegesellschaft heute noch existent? Oder anders gefragt: Lässt sich tatsächlich behaupten, dass diese Ära irgendwann zu Ende gegangen ist, wir mithin in einer "postindustriellen" Zeit leben?
Thomas Baumanns neue Arbeiten greifen diesen Fragenkomplex auf vielfältige Weise auf. Da ist zunächst eine Reihe von ramponierten Industrieuhren, "untitled", die der Künstler aus so nicht mehr bestehenden Produktionsstätten geborgen hat. Schweres Eisengerät, rund oder quadratisch, mit teils ausladenden Rahmen versehen. Als Signatur industrieller Herstellungs- und damit auch Zeitoptimierungs-Abläufe verweisen sie tief ins 19. Jahrhundert, als die maschinelle Produktion auch neue Formen des Ablauf-Managements hervorbrachte. Baumann hat die Uhren auseinandergenommen, ihr "Innenleben", sprich die Uhrwerke entfernt, die verbleibenden Rahmen neu zusammengesetzt - um sie in Folge ein zweites Mal zu demontieren. Diesmal mit einem Hammer, mit denen die dicken Glasscheiben der Uhren durchschlagen und so zu bizarr gezackten Ornamenten deformiert wurden. Als müsse die Funktion des Zeitmaßes, durch die Entfernung der Uhrwerke ohnehin bereits "entsorgt", oder besser dessen heutige Obsoletheit doppelt markiert werden. Schließlich leben wir längst nicht mehr in einer Zeit der linearen Abläufe. Vielmehr hat sich jedes einsinnig vor sich hintickende Maß angesichts der wild ineinander verschachtelten Parallelzeiten, die unsere Gegenwart ausmachen, scheint’s endgültig erledigt. Time out of joint, und das schon lange.
'untitled', 2013 von Thomas Baumann
'The Big Why', 2012-2013 von Thomas Baumann
"untitled", 2013
Eisen, Glas, Holz; Größe variabel
Industrieuhren, demontiert, neu zusammengefügt, wieder zerschlagen
"The Big Why", 2012-2013
Aluminium, Edelstahl, Messing, Nylon, Kohlefaser
13 x 19 x 220 cm
Fragt sich nur, warum dem so ist Wie kam es, dass wir mit einzelnen Zeitabläufen nicht mehr das Auslangen finden? Wie lässt sich, anders gefragt, die Zeit wieder in ihre Fugen zurückstopfen? Baumann greift auch diesen Aspekt in seiner Installation auf. "The Big Why", eine nach dem Prinzip eines Uhrwerks gefertigte, offen einsehbare Mechanik, streicht den Gesichtspunkt eines potenziell endlosen Zeit- und Bewegungsablaufs demonstrativ heraus. Ein metronomartig getakteter Zeiger, ohne dass die Intervalle zeitlich genormt wären, wird durch einen Mechanismus angetrieben, der einzig auf Schwerkraft bzw. der Länge des verwendeten Seils beruht. Sind die zerschlagenen Rahmen so etwas wie die nicht wegzukriegenden Skelette der Industriezeit, so verhält sich The Big Why dazu wie ihr freigesetzter Geist. Nur dass diese Freiheit selbst maschinell fabriziert ist, darüber hinaus aber keiner Standardisierung, auch keinem "post-industriellen" Zeitmaß gehorcht.
Eine Reihe von Streifenbildern, "Stripes", rundet die Ausstellung ab. Maschinell gefertigte, auf Airbrush-Technik basierende Malereien, machen die Befragung des industriellen Produzierens und ihrer Zeit komplett. Feinste Farbfrequenzen, die in dünnen Bahnen von einem Malapparat mit eingebautem "Luftpinsel" auf Papierrollen aufgetragen werden, mit vielen kleinen Fehlern bzw. den patzigen Verschlierungen, die dabei auftreten. Auch dass die mit der Ausführung betrauten ArbeiterInnen die Rollen händisch beschriftet haben, lässt darauf schließen, dass das Zeitalter der perfekten, reibungslosen Automatisierung noch nicht angebrochen ist. Ebenso unnostalgisch verhält sich Baumanns Kunst zum mitnichten zu Ende gegangenen Industriezeitalter. So wenig dieses hinter uns liegt, so wenig "friktionsfrei" lassen sich auch seine Überreste entsorgen. Die Ausstellung gibt einen höchst plastischen Eindruck davon. Während die Uhr, vielleicht in einem uns unbekannten Zeitmaß, unablässig weitertickt.
Christian Höller, Springerin
zur Biografie
       
©  2013 09 15