Djawid C. Borower
The God Project
Das Project God hat den Charakter eines künstlerischen "Essays", das Malerei, Plastik und Konzept integriert. Der Essay ist, folgt man dem lateinischen Ursprung des Wortes, eine "Probe", ein "Versuch". Ich verfolge keine strenge Methodik, sondern versuche mich meinem Thema experimentell mit den Mitteln der Kunst zu nähern. Und wie beim Essay geht es mir um eine offene, unabgeschlossene Form der Auseinandersetzung, die keine Wahrheiten vermittelt, sondern Denkanstöße gibt. Dabei ist es mir wichtig, das Thema nicht nur von einer Seite her zu beleuchten, sondern mich ihm über die Grenzen der Gattungen und der Diskurstechniken hinweg aus verschiedenen Richtungen her zu nähern.

Wenn Wittgenstein meinte, dass die Grenzen der Sprache die Grenzen unserer Wirklichkeit sind, dann muss man eben die Grenzen überschreiten. Die Kunst gibt uns die Mittel. Und für mich ist sie das einzige Medium, in dem man die klassischen metaphysische Fragen behandeln kann, die Fragen nach dem Sein und dem Nicht-Sein, nach Freiheit und Bestimmung, nach der Wirklichkeit und dem Absoluten. Weil sie anders als ein theoretischer Text keine Neutralität, sondern Subjektivität beansprucht, weil sie keine objektiven Aussagen machen möchte, sondern ihren Standpunkt aus den Extremen unserer Existenz schöpft, weil es ihr in erster Linie nicht um den Begriff der "Wahrheit", sondern um den des "Schönen" geht.

Das Projekt fasst mehrere Serien zusammen, die sich seit 1998 mit metaphysischen Themen beschäftigen. Die vorläufig letzte Serie bilden die "Falten der Materie und die Falten der Seele", zu denen ich von einem Buch von Gilles Deleuze über Leibniz und das Barock angeregt wurde.

Den Anfang machten 1998 die "Pictures of God", die ich bis heute fortsetze und die zu malen für mich eine Art Meditation sind, obwohl mir Gott längst abhanden gekommen ist. Der Titel sagt schon, dass es eine Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot ist, das in den Zehn Geboten erstmals genannt, dann von christlichen Strömungen und vom Islam übernommen wurde und schließlich im Abbildverbot der modernen Kunst mündete. Insofern ist diese Serie zugleich eine Reflexion über die Bedingungen der Abstraktion und der Konzeptkunst. Denn das Nicht-Darstellbare ist für die Moderne nicht mehr Gott, sondern die Wirklichkeit selber. Die Logik hinter dem religiösen wie modernen Bildersturm ist durchaus nachvollziehbar. Beide gehen davon aus, dass das Göttliche - oder die Wirklichkeit - derart komplex sind, dass jedes Bild es verfehlen muss.

Dabei wurde aber übersehen, dass die Sprache sich selbst Bilder macht. Es ist ein Unterschied, ob ich von Gott oder dem Göttlichen, dem Brahman oder dem Absoluten, vom Selbst oder dem "Herrn" spreche. Mehr noch erzeugen die religiösen Texte, die dieses Diktum setzen, stärkere Bilder als es die Kunst je könnte. Es werden sehr wohl Gottesbilder erzeugt, wenn vom jähzornigen, eifersüchtigen, rächenden oder liebenden Gott gesprochen wird, wenn von ihm gesagt wird, dass er die Welt erschaffen hat und über sie Gericht hält. Wenn von höllischen Qualen und himmlischen Freuden die Rede ist. Sobald die Sprache auf etwas kommt, ist es unmöglich, sich kein Bildnis zu machen. Das gilt auch für die Wirklichkeit.

Ob die Wirklichkeit nun göttlich ist oder ohne Gott - sie ist das Absolute. Insofern ist der Versuch, über das Absolute zu sprechen, eigentlich der, über die Wirklichkeit zu sprechen. Und die Schwierigkeiten, die uns das eine bereitet, sind die gleichen, die uns das andere zumutet. Die Probleme, vor die ich gestellt werde, sind jedoch offensichtlich, wenn ich mich mit dem Göttlichen beschäftige. Niemand wird denken, dass die Werke des "God Projects" nur im Entferntesten das Absolute realitätsnah abbilden. Wir denken bereits hier die Nicht-Darstellbarkeit mit. Während wir hingegen zu der Annahme neigen, dass die Wirklichkeit darstellbar ist. Aber auch an ihre Komplexität kommt keine Sprache heran. Was ist die angemessene Beschreibung beispielsweise des Firmaments? Eine Fotografie? Die mathematischen Modelle eines Stephan Hawkins? Oder "Die Schöpfung" von Joseph Haydn?

Zwangsläufig gerät der Versuch, sich ein Bild zu machen, zu einer Ästhetisierung des Gottesbegriffs. Es zählt in erster Linie nicht die Wahrheit, sondern das "Schöne". "Wahrheit" ist wohl der gefährlichste Begriff der Menschheitsgeschichte, vor allem, wenn er mit dem Begriff "Gott" verbunden ist. Die Kunst trennt sie von einander. Von Bachs Matthäuspassion oder Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle können auch ein Nicht-Christ und ein Atheist berührt sein. Es ist ein interessantes Gedankenexperiment, sich vorzustellen, wie wohl die Geschichte verlaufen wäre, wenn es uns nur möglich gewesen wäre, mit den Mitteln der Kunst über das Göttliche zu reflektieren und nicht mit den Mitteln der gesprochenen oder geschriebenen Sprache. Sicherlich friedlicher. Die Sprache arbeitet mit Aussagen, die entweder richtig oder falsch, wahr oder unwahr sind. Solange sie keine Poesie ist, entkommt sie daher nicht dem Wahrheitsanspruch. Die Kunst sehr wohl.

Im Laufe der Beschäftigung ist es mir ein Bedürfnis geworden, unterschiedliche Objekte und Serien zu gestalten, die aus verschiedenen Perspektiven das Thema beleuchten. Die Sprache behandelt es auf eine andere Weise als das Bild, und das Bild öffnet einen anderen Zugang als die Plastik. Das eine Werk ist emotionaler, expressiver, das andere konzeptuell. Manche bedienen sich vorgängiger Bilder und Metaphern, beziehen sich auf historische Vorbilder, auf die Lichtmetaphorik etwa oder auf das Barock. Andere sind aus einer eigenen Bildwelt heraus entstanden. In der Spannung, die daraus entsteht, in der Inhomogenität, der Diversität verlasse ich sozusagen jede Attitude, eine Wahrheit zu proklamieren. Ich möchte nicht das eine und wahre Bild schaffen, weil ich es nicht habe. Weder von Gott noch von der Wirklichkeit noch von mir. Keine Antworten. Nur Möglichkeiten. Meine Kunst ist ein Erkundungsprozess.
Djawid C. Borower
zur Ausstellung "Djawid C. Borower"
       
©  2013 03 26